Bildgebung

Dosis reduzieren ohne Kompromisse bei Diagnose und Therapie – geht das?

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Hildegard Kaulen
Veröffentlicht am 2. Juli 2020

Bildqualität und Dosis sind zwei Seiten einer Medaille. Je höher die Dosis, desto besser die Bildqualität. Heute werden allerdings gute Bilder schon mit geringer Dosis gemacht. Ein Überblick über Strahlenrisiken, Dosiswerte und verschiedene Hard- und Softwarelösungen.


Illustrationen: Jens Amende

Diagnostische Sicherheit ist ein Muss: Was nützt ein CT-Scan oder eine Projektionsaufnahme, wenn die klinischen Fragen unbeantwortet bleiben? Röntgentechnik ist zu einem unverzichtbaren Instrument für die Diagnose und Therapie geworden. Doch Röntgenstrahlen bergen auch Risiken: Sie können das Erbgut schädigen und Verbrennungen hervorrufen. Deshalb geht es bei der Röntgen-Bildgebung immer um einen Kompromiss zwischen Dosis und diagnostischer Sicherheit. Theoretisch kann jedes absorbierte Röntgenquant eine Mutation erzeugen, die Jahrzehnte später zu einer Krebserkrankung führt. Die angenommene Beziehung ist linear. Je höher die verabreichte Dosis, desto größer das Krebsrisiko. Die Medizin spricht vom stochastischen Risiko.

Die mögliche Verbrennung der Haut durch auf kleiner Fläche auftreffende Röntgenquanten wird hingegen als deterministisches Risiko bezeichnet. Dafür gibt es einen Schwellenwert. Bei der CT wird dieser Schwellenwert in der Regel nie erreicht, weil die Gantry ständig um den Patienten kreist und schmale Schichten aufnimmt. Daher ist für die CT vor allem das Krebsrisiko relevant. Bei der Angiographie hingegen ist das anders. Weil der Röntgenstrahl dort von einer Seite auf den Körper trifft, können an dieser Stelle hohe Patienteneintrittsdosen erreicht werden. Für die Angiographie ist daher in den meisten Fällen das deterministische Risiko relevant.

Um das Krebsrisiko zu verringern, muss der Radiologe die Strahlendosis reduzieren.

Für Energie, Wirkung und den Schaden einer Strahlung gibt es Dosiswerte. Die Energiedosis besagt, wieviel Röntgenstrahlen von einem Kilogramm Körpergewicht aufgenommen werden. Sie trägt die Einheit Gray (Gy) und lässt sich direkt messen. Dagegen berücksichtigt die Äquivalenzdosis die biologische Wirkung der unterschiedlichen Strahlungsarten über einen Faktor und lässt sich nicht direkt messen. Ihre Einheit ist das Sievert (Sv) oder Millisievert (mSv). Der Schaden einer Strahlenexposition wird über die effektive Dosis beziffert und kann ebenfalls nicht direkt gemessen werden. Die effektive Dosis berücksichtigt die unterschiedlichen Empfindlichkeiten der Organe und Gewebe und entspricht der mittleren Ganzkörperdosis. Ihre physikalische Einheit ist ebenfalls das Sv oder mSv.

Die effektive Dosis wird zur Risikoabschätzung genutzt, weil sie Vergleiche zwischen den einzelnen Untersuchungen möglich macht. Ein wichtiger Referenzwert ist dabei die natürliche Hintergrundstrahlung, die sich im Wesentlichen aus terrestrischer und kosmischer Strahlung zusammensetzt. Diese liegt in Deutschland bei rund 2,1 mSv pro Jahr. Allerdings ist unklar, welches Krebsrisiko mit welcher effektiven Dosis verbunden ist, weil es keine entsprechenden Studien gibt. Alle Berechnungen basieren auf Ausnahmesituationen wie dem Atombomben-Abwurf über Hiroshima oder Nagasaki oder der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Für Personen, die beruflich bedingt einer radioaktiven Strahlung ausgesetzt sind, weil sie entweder mit Röntgengeräten arbeiten oder mit umschlossenen Strahlenquellen oder offenen radioaktiven Stoffen zu tun haben, gibt es Grenzwerte. In Europa liegt der jährliche Grenzwert für die beruflich bedingte effektive Dosis bei 20 mSv, in den USA bei 50 mSv. Medizinische Untersuchungen, die der Diagnostik oder der Behandlung dienen, sind von diesen Grenzwerten ausgenommen.



In der Medizin gilt das ALARA*-Prinzip: Demnach sollte stets die geringst mögliche Dosis verwendet werden. Dafür sind über die Jahre hinweg verschiedene Hard- und Softwarelösungen erarbeitet worden, besonders auch von Siemens Healthineers. Auf der Hardware-Seite sind das etwa bessere Röntgenröhren und Detektoren sowie Vorfilter zur Aufhärtung des Röntgenstrahls; auf der Software-Seite eine automatische Steuerung von immer mehr Parametern, wie zum Beispiel des Röhrenstroms, der Belichtungszeit oder der Brennfleckgröße, sowie die iterative Rekonstruktion des Bilddatensatzes. Dosis kann auch durch eine optimale Lagerung des Patienten und durch gutes Training des Fachpersonals gespart werden.

Allerdings haben CT und Angiographie unterschiedliche Anforderungen. Bei der Angiographie werden großflächige Projektionsaufnahmen gemacht, die eine hohe Ortsauflösung aufweisen müssen, damit sowohl Gefäßkanten als auch Katheter oder Stents noch zu sehen sind. Bei der CT kann die Auflösung der Einzelbilder niedriger sein, weil das endgültige Bild aus Hunderten von Einzelbildern zusammengesetzt wird. Bei der Angiographie muss sich zudem das behandelnde Personal auch vor der Streustrahlung schützen, denn ein Teil der von der Quelle emittierten Röntgenquanten verlassen den Körper des Patienten nicht in Richtung Detektor, sondern werden in andere Richtungen abgelenkt und können als Streustrahlung deswegen auch den Behandler treffen.

Technologische Innovationen haben dazu beigetragen, die Strahlendosis reduzieren zu können und trotzdem eine hohe Bildqualität zu erhalten.

Röntgenröhren sparen Dosis über die Größe des Brennflecks. Der Brennfleck ist der Punkt, an dem die Elektronen auf die Anode treffen und die Röntgenquanten erzeugt werden. Je kleiner der Brennfleck ist, desto besser ist das Bildergebnis und damit das Verhältnis von Bildinformation zu aufgewandter Dosis. Folglich wäre ein punktförmiger Brennfleck optimal. Allerdings würde dann durch die konzentrierte Leistung so viel Hitze entstehen, dass die Anode schmelzen könnte. Deshalb muss ein Kompromiss zwischen der Größe des Brennflecks, der Belichtungszeit und der Dosis gefunden werden. Ein weiteres Argument für einen möglichst kleinen Brennfleck ist die Ortsauflösung, die mit kleiner werdendem Brennfleck zunimmt.

Der Röntgenstrahl besitzt auch nicht von vorneherein das optimale Energiespektrum für die jeweilige klinische Fragestellung. Deshalb werden die Quanten, die nicht zur Bildgebung beitragen, durch die automatische Wahl eines möglich dicken Vorfilters entfernt. Damit der gefilterte Röntgenstrahl ausreichend stark für die Bildgebung bleibt, muss die Röntgenquelle sehr leistungsfähig sein und den gefilterten Anteil durch höhere Leistung kompensieren. Deshalb benutzt man heute unter anderem sogenannte Flat-Emitter anstelle von Glühwendeln und fokussiert den Elektronenstrahl aktiv, um die Brennfleckgröße zu optimieren.

Weil am Ende nur wenig Röntgenstrahlung am Detektor ankommt, müssen die Quanten dort auch möglichst effizient in Bildsignale umgewandelt werden. Für die CT war der Stellar-Detektor von Siemens Healthineers ein wichtiger Meilenstein. Dieser Detektor digitalisiert das Messsignal über eine kurze Signalstrecke. Dadurch wird das Signal ohne Verlust übertragen, was das elektronische Rauschen im Niedrigdosisbereich halbiert hat. Davon profitieren vor allem adipöse Patienten. Für die Angiographie wiederum war die Einführung des zen-Detektors entscheidend. Dieser Detektor arbeitet mit kristallinem Silizium, nicht amorphem Silizium. Dadurch wird das elektronische Rauschen ebenfalls reduziert.

Intelligente Software nimmt nicht nur automatische Anpassungen vor dem Scannen vor, sondern ermöglicht es dem Radiologen auch, individuelle Strahlendosen zu verwenden, was zu einer reduzierten Dosis führt.

Die Dosis einer CT sinkt auch, wenn die Scanparameter automatisch an die Anatomie des Patienten und die klinischen Fragestellungen angepasst werden. So lassen sich Harnsteine aufgrund ihres guten Kontrastes mit weniger Dosis erkennen als Lebermetastasen in einem homogen aussehenden Leberparenchym. Kleinere Patienten können mit einer geringeren Dosis gescannt werden als größere. Solche Anpassungen werden über die Modulation des Röhrenstroms und der Röhrenspannung vorgenommen.
Bei der automatischen Modulation des Röhrenstroms wird der Strom bei jeder einzelnen Schicht an die Dichte des Gewebes und den Körperbau des Patienten angepasst. Damit können auch besonders strahlenempfindliche Organe wie die weibliche Brust oder die Augenlinsen geschont werden. Die Röhrenspannung wird bei Kontrastmitteluntersuchungen angepasst. Ein Scan mit 80 kV oder 100 kV ist dann mit einer deutlich niedrigeren Dosis verbunden als ein Scan mit 120 kV. Auch die iterative Rekonstruktion der Bilddateien trägt indirekt zur Reduktion der Strahlendosis bei, weil das erhöhte Rauschen durch die niedrigere Dosis über den Algorithmus ausgeglichen wird.

Im Bereich der Angiographiegeräte hat sich ebenfalls in jüngster Vergangenheit viel getan. Die neue Bildkette OPTIQ verfolgt den Ansatz, das Kontrast-zu-Rausch Verhältnis im Bild konstant zu halten, wodurch hohe Dosiseinsparungen möglich sind. Diese neue Regelung wird mit materialspezifischer Bildgebung verknüpft, die das Röntgenspektrum auf das darzustellende Material optimiert, was wiederum zu Dosiseinsparungen führt.[1]

Martijn Kemerink von der Universität Maastricht und seine Kollegen haben vor ein paar Jahren anhand eines historischen Röntgengeräts nachvollzogen, wie hoch die bei der Entdeckung der Röntgenstrahlung verwendeten Dosen gewesen sein müssen: Wilhelm Conrad Röntgen muss demnach 1895 für das berühmte Röntgenbild der Hand seiner Frau Berta rund 74 mGy eingesetzt haben.[2] Heute braucht man circa 0,05 mGy – das entspricht einem 1500fachen Unterschied. Damals waren 90 Minuten Belichtungszeit nötig, heute 20 Millisekunden. Es habe viel Raum für Verbesserungen bei dem historischen Gerät gegeben, hielten Kemerink und seine Kollegen fest. Seitdem sei sehr viel passiert.

Hildegard Kaulen, PhD, ist Molekularbiologin. Nach Stationen an der Rockefeller Universität in New York und der Harvard Medical School in Boston ist sie seit Mitte der 1990er Jahre für angesehene Tageszeitungen und Wissenschaftsmagazine als freie Wissenschaftsjournalistin tätig.


Von Hildegard Kaulen

Hildegard Kaulen, PhD, ist Molekularbiologin. Nach Tätigkeiten an der Rockefeller University in New York und am Massachusetts General Hospital in Boston arbeitet sie heute als freie Wissenschaftsjournalistin für Zeitungen und Wissenschaftsmagazine.